Liebe S.,
Letztes Jahr im Oktober hab ich meine alte Tante in meiner Heimat besucht. Sie ist 83.Sie hat immer viel erzählt , und ich wollte auch immer viel von ihr wissen, nur leider, wie das mit erzählten Erinnerungen so ist, hab ich vergessen oder durcheinander gebracht, was sie mir alles erzählte. Dieses Mal hab ich mir ein Aufnahmegerät mit genommen, ich wollte diese Geschichten, die sie zu erzählen hat, und die zu meiner Identität gehörenm, die wollte ich wissen und bewahren.Wir sassen 2 Abende in ihrer kleinen Küche, mit Blick auf denSee, an dem sie wohnt, wir assen geräucherten Aal, wir tranken ein wenig Bier, ab und zu rauchte sie eine Zigarette. Die Schatten der Bäume wurden länger. Die Kormorane zogen über das Wasser.Ein Fischerboot schlug Wellen.
Und sie erzählte ihre Geschichten.
Es sind dann 4 einhalb Stunden verwertbarer Text geworden. Einen Auszug schreibe ich hier, denn ich bin auf das Projekt „Gegen das Vergessen“ hier im Blog aufmerksam geworden, über Juck Plotz Beitrag, hier ist es noch mal extra erläutert. (Ich weiss nicht , ob ich das jetzt richtig verlinke, aber ich mach das jetzt mal so.)
Meine VaterFamilie-meine Tante ist die Schwester meines Vaters- ist gebürtig aus Mecklenburg, sie stammen aus „einfachen“ Verhältnissen, mein Grossvater war Maurer, meine UrGrossmutter Dienstmagd bei Hochwohlgeboren.Das folgende ist ein Auszug aus ihren Erzählungen:
Die Nazi-Zeit
….-Opa musste nicht in den Krieg, weil er zu alt war.
Er hat ja den ersten Weltkrieg mitgemacht, aber dafür war er im Volkssturm(1945,) er war Volkssturm Erster, und da hat er und A.P…, der hatte schon einen Arm verloren, im Krieg, mit dem ist er an der Eldebrücke gewesen.Die sollte gesprengt werden.Die Soldaten hatten da Sprengstoff gelegt, kurz vor Schluss, vor dem 3.Mai. Das hat Opa durch geschnitten, damit die Brücke nicht gesprengt wird.
Leider steht da nicht sein Name , an der Brücke,aber da steht:
Plauer Bürger haben das gemacht.
Ja. Irgendwie war Opa doch ein Held. War er, ja….
Ja,und in der Gewerkschaft war er.Er hatte eine Urkunde, 25 Jahre Gewerkschaft, im Zimmer hing die, nachher war sie weg. Und da stand drauf:
Einer für alle, Alle für einen.
So ist der Spruch gewesen.
Während der Nazi-Zeit konnte er in der Gewerkschaft bleiben, das hat keinen gekümmert.Das musste er nicht verstecken,
Obwohl P(der Ort) voll war von Nationalsozialisten. Aber die haben sich zurück gehalten- …..
….-Der Alltag
Wir haben so gut es ging , Musik gemacht miteinander. 1945 hatten wir ja keinen Strom abends, dann kamen noch mehr Freunde aus dem Ort und der Strasse zu uns, M… ist dir vielleicht ein Begriff, Hans M….l. Und dann haben wir Blockflöte und Mandoline gespielt, und die Eltern haben dabei gesessen. Dann stand ne Kerze auf dem Tisch, selbstgedrehte Kerzen, meine Mutter hat dann aus dem Wachs auch Bohner gemacht, für den Fussboden(Bohnerwachs) und mein Vater hat die Zeitung gelesen, Pfeife geraucht, Mutti hat gestopft, oder gestrickt, oder irgendwas, und dann haben wir uns Geschichten erzählt.Unser Vater konnte tolle Geschichten erzählen.Spökenkiekerei.Und der hatte für alles irgendeinen Spruch.Das fand ich immer so toll.Aber ich kann mich leider gar nicht mehr an diese Geschichten erinnern.
……-Der Krieg
Opa versteckt die Mädchen. 1945
Eingemauert hat er uns.Wenn du so willst. Am Ende vom Hof, vom Garten war ja so eine kleine Mauer und dahinter floss die Elde.
Er hat hinter dem Garten zwischen dem Schwienstall an der Stadtmauer einen Verschlag gemacht, alles zugestellt mit Holz,und da war Stroh drin, in dem Raum.Und dann hat er ein Loch geschlagen in die Mauer,das wir da durch konnten, und da wurde so ein Schrank vorgeschoben.
Und G…. , also dein Vater, und R…waren mit einer alten Frau im Haus im Wohnzimmer, und die Russen haben immer gefragt: Wo Frau, Wo Frau? Die konnten sich das nicht erklären, dass wir nicht mehr da waren, und wo wir waren.Wir waren , glaub ich, über 20 Frauen drin.
Die suchten alle Schutz bei meinem Vater.
Wenn die Russen dahinter gekommen wären, ich glaub , die hätten meinen Vater auch erschossen.Wir haben das gemerkt, das die Russen da waren, wir waren so still, du hättest da wirklich die berühmte Nadel im Stroh fallen hören.So leise ist das gewesen. Und G… und R… , die waren draussen.Mit dieser alten Frau.Der haben die Russen wohl nix getan. Die war wohl selbst für die Russen zu alt. Die sei schon faul, haben die Russen gesagt.Furchtbar.
Und nach ner Weile haben wir dann gemerkt, wie die Russen auf dem Hof waren und mit der Taschenlampe durch das Holz, weisst du, wenn da so Ritzen sind, wie die da durch geleuchtet haben.Und da kam dann der Schein da rein, aber die konnten das (uns)nicht sehen.Die sind denn wieder abgehauen.Aber weisst du, ich hab in meinem ganzen Leben noch nicht so gezittert und auch nie wieder solche Angst gehabt.
Und denn war das ja Sommer, und es war so warm und die Schafe die blökten, und die Kühe haben Lärm gemacht und mussten gemolken werden, und die Schweine, und dieses Geblöke und so, das hör ich immer noch, das war schlimm.Ja, das war keine schöne Zeit, aber irgendwie haben wir die dann doch noch als schön empfunden.
…Geschwister…
G… ist ja nur ein Jahr jünger als ich. Aber ich hab die Verantwortung für meine jüngeren Geschwister übernehmen müssen.Und weisst du, ich seh dieses Bild immer noch… wir hatten ja auch nichts zu essen,E…(Älteste Schwester)brachte zwar immer Brotmarken mit,wir mussten ja Marken kleben, aber das hat nie gereicht und ich stand am Küchenschrank und die drei Kleinen neben mir, und hatten Hunger.Und da war nichts drin.ImSchrank.
Das geht mir nicht aus dem Kopf.Das war schlimm.
Und du weisst ja, ich hab W…(Schwester) immer um mich rum gehabt.Zu Hause immer.Und nachher in Rostock haben wir in einem Betrieb gearbeitet,auch hier, in E…,und das ist mir schon ganz schön schwer geworden, als sie gestorben ist(2014).
Daher kommt auch dieser ganz starke Geschwisterverbund, wenn man so schlimme Zeiten miteinander durchgemacht hat.Und trotzdem haben wir aus allem was gemacht. W… kam nachher ins Internat, auf die Oberschule, ich war in der Schule keine grosse Leuchte.
….denn wir haben ja im Krieg und auch nach dem Krieg kaum Schule gehabt.
Wir haben uns dann alles selber anlernen müssen.
Aber wir haben ja trotz allem ne schöne Jugend gehabt, wir hatten ja einen grossen Hof, und das gute war ja, das wir ein eigenes Haus hatten.
Wir haben da Höhlen gebaut, und wenn Gewitter war, dann hatten wir so eine Leiter hingelegt, Säcke rauf und da sind wir dann unter gekrochen.Wir waren immer zu dritt, oder nee, zu viert…nein, also ich war vielleicht immer manchmal bisschen böse mit den Gören, aber wenn man da erzieht , dann muss man manchmal bisschen streng sein.Aber das, denk ich, haben sie mir auch nicht so übel genommen.Die sind ja immer noch zu mir gekommen.
….Menschlichkeit
Und einmal musste mein Vater wo arbeiten, in Rostock, das war im Krieg oder kurz davor, und da wurde er bewacht von den Nazis, und da war so ein alter Jude, den liessen die Nazis immer mit einem Stein in der Hand auf und ab springen.Und wenn der stolperte, haben sie ihn geschlagen. Der war wohl schon so alt und gebrechlich und Opa konnte das nicht mit ansehen. Der hat zu den Nazis gessagt,das das unwürdig ist,was die da machen und da haben die mit dem Gewehr auf meinen Vater gezielt und gesagt, wenn du noch einmal das Maul aufmachst, geht es dir genauso!
♥ ♥ ♥
Es gibt noch mehr Geschichten, ich habe sie eben alle noch mal gelesen, und bin wieder sehr berührt davon. Sie hat an den Abenden da gesessen und immer wieder gesagt,“ Ach Mensch, Kat… die Menschen sind doch immer noch nicht schlauer geworden, die machen denselben Sch… doch immer noch, hört das denn gar nicht auf?“
Sie hat immer wieder betont, dass sie ein gutes Leben hatte, wie wichtig ihr die Geschwister waren, die Familie, aber „den Krieg,…nee, datt hätt nicht sin möt“.
1950 bis 1960 sind sie und ein Teil ihrer Geschwister in den Westen geflüchtet, teilweise unter abenteuerlichen Umständen.
Und deshalb werde ich immer wütend, wenn ich die Stimmen gegen Flüchtlinge höre, wenn ich von Mauern höre, die gebaut werden sollen, wenn ich diese Diskussion über Familienzusammenführung höre… ich weiss wie das ist, wenn man einen Teil seiner Familie nicht sehen kann. Ich weiss wie das ist, wenn jemand seine Heimat verloren hat.
Und noch ein Nachsatz zu ihrer Bezeichnung: „Die Russen“. Das bedeutet nicht, das alle Russen böse Menschen sind. Es bedeutet, das es in jedem Krieg Menschen gibt, die die Achtung und den Respekt vor anderen „fremden “ Menschen verloren haben. Mittlerweile, denke ich, ist das sogar im Frieden der Fall.
Sehr nachdenkliche Grüsse
Kat.

Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.